Mein beraterisches Selbstverständnis

Mein Selbstverständnis in der Beratung beruht auf diesen anthropologischen Setzungen, die die Unvereinbarkeiten dahingehend berücksichtig, dass sie zwei Seiten des Phänomens erfasst:

Individualität und Sozialität: Jeder Mensch ist gleichermaßen ein individuelles und ein soziales Wesen. Das bedeutet, dass jeder Mensch unverwechselbar ist und individuelle Handlungsfreiheit hat.
Gleichzeitig sind Menschen aber auch soziale Wesen, die eingebunden sind und deren Individualität sich im Rahmen der sozialen Systeme, in denen der Mensch sich bewegt, ergeben.

Subjektives und determiniertes Wesen: Das soziale Eingebundensein prägt jeden Menschen auf eine spezifische Art und Weise – wie bspw. die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, einer Organisation oder einer gesellschaftlichen Gruppe. Die eigene Reflektiertheit findet vor dem Hintergrund der bereits gemachten Erfahrungen statt, d.h. die Biographie prägt die Art und Weise wie Menschen sich verhalten bzw. welche Sichtweisen sie einnehmen.

Lebenslange Entfaltungsmöglichkeit: Jeder Mensch kann sich – wenn er will – das ganze Leben lang verändern, neue Kompetenzen erlernen und an der Selbstverwirklichung arbeiten.

Sicherheit und Eingeschränktheit durch Arbeit und Institutionalisierung: Die Arbeit und die damit verbundene Rolle können für Menschen Sicherheit und Identität geben und gleichzeitig eine Belastung sein und einengen. D.h. eine Führungsposition kann aufgrund der Hierarchie eine gesicherte Rolle sein und gleichzeitig kann sie durch die Hierarchie als einengend erlebt werden, da sie den Handlungsspielraum beschränkt. Oder die berufliche Rolle hat eine positive Bedeutung und gleichzeitig ist sie eine anstrengende Aufgabe.

Dabei berücksichtige ich in der Beratung, dass das menschliche Dasein auf den Ebenen der Individualität, der Beziehung und der Einbindung in soziale Strukturen erfasst werden.
Die Beratung soll Menschen unterstützen, neue kognitive Schemata zu finden. D.h. wir werden mit Situationen konfrontiert, in denen unser bisherige Wissensvorrat nicht passend ist oder ausreicht. Beratung hilft hier, den eigenen Raum zu erweitern bzw. anzupassen.
Um in beruflichen Herausforderungen angemessen reagieren zu können, ist es notwendig andere Perspektiven und Standpunkte einzunehmen, um mehrperspektivisch wahrnehmen und erkennen zu können. Dies kann im Beratungssetting erlernt und ausprobiert werden.
Weiterhin wird in der Beratung der Raum geschaffen, emotionale Erfahrungen bewusst zu machen. Ich gehe davon aus, dass Menschen Situationen körperlich und emotional erfassen. Die Koppelung der Situation und der emotionalen Einfärbung werden dann bei ähnlichen Situationen zur Deutung herangezogen – was nicht immer passend ist.
Die von mir angewandten Theorien sind wissenschaftlich fundiert und werden auf ihre Passgenauigkeit zu den genannten Annahmen überprüft. Theorien, die sich nicht in die genannten anthropologischen Setzungen und erkenntnistheoretischen Positionen einbinden lassen, werden nicht angewandt.
Ebenso verhält es sich mit den angewandten Methoden – den eingesetzten Arbeitsformen, Medien und Materialien.
Bei Wunsch und Bereitschaft der zu beratenden Person, wird auch der Körper in die arbeitsweltliche Beratung miteinbezogen. Dies beruht auf der Annahme, dass Erfahrungen im Körper gespeichert werden und dass Verhaltensveränderungen erst über den Einbezug des Körpers möglich sind.
Ich gehe in der Beratung davon aus, dass Menschen ein Wachstumsbedürfnis haben und über Selbstregulationsfähigen verfügen. Weiterhin sehe ich den zu beratenden Menschen als mündig an und dieser steht im Mittelpunkt der Beratung.

Quellen:
Schreyögg, A. Ein Integrationsmodell für die Supervision. https://www.schreyoegg.de/content/view/65/35/
Schreyögg, A. Was ist Scharlatanerie im Coaching - und was hat das mit zwei Rücksäcken zu tun? https://www.schreyoegg.de/content/view/51/33/
Schreyögg, A. (2009a). Die konzeptionelle Einbettung der Coaching-Praxeologie am Beispiel eines integrativen Handlungsmodells fürs Coaching. In C. J. Schmidt-Lellek & A. Schreyögg (Hg.), OSC-Sonderheft: Bd. 2. Praxeologie des Coaching (S. 13–31). VS Verl. für Sozialwiss.
Schreyögg, A. (2009b). Die Wissensstruktur im Coaching. In B. Birgmeier (Hg.), Coachingwissen: Denn sie wissen nicht, was sie tun? (1. Aufl., S. 47–60). VS Verl. für Sozialwiss.
Schreyögg, A. (2012). Coaching: Eine Einführung für Praxis und Ausbildung (7., komplett überarb. und erw. Aufl.). Campus-Verl.